Basiskonzept Macht

Manuel S. Hubacher

Im Alltagsverständnis herrscht oftmals ein negatives Verständnis des Konzepts Macht vor. So setzen viele diese mit Zwang oder Unterdrückung gleich.[1] Das wissenschaftliche Machtverständnis ist dagegen weitaus differenzierter – aber auch widersprüchlicher. Zwei Verständnisse dominieren dabei die Diskussion: Macht-zu und Macht-über.

Foto von GR Stocks auf Unsplash
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Macht-zu, Macht-über …

Macht-über beschreibt eine Fähigkeit oder einen Zustand, in dem es Akteur*innen gelingt, andere so zu beeinflussen, dass dadurch die eigenen Ziele, Wünsche, Interpretationen usw. befördert werden. Max Weber beschreibt dies wie folgt: «Macht ist jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.»[2] Hanna Pitkin argumentiert dagegen, Macht sei ein Etwas, das eine Person dazu befähigt oder fähig macht, etwas zu tun.[3] Macht verstanden als Macht-zu ist für sie Fähigkeit, Potenzial oder Können.

Der Zusammenhang zwischen Macht-zu und Macht-über ist umstritten. Einige Autor*innen argumentieren beispielsweise, beide seien zwar konzeptionell verschieden aber dahingehend verbunden, als dass wir Macht-zu nicht ohne Macht-über haben können: Die Ermächtigung sozialer Akteur*innen können wir nicht davon trennen, sich gegen andere zu ermächtigen.[4] Diese Verbindung von Macht-zu und Macht-über basiert auf der Idee, soziale Räume, die nicht bereits durch Machtbeziehungen strukturiert seien, gäbe es nicht.[5] Treffen diese Überlegungen zu, so ist folglich die Emanzipation von Akteur*innen ebenfalls machtkritisch zu hinterfragen. Selbst wenn nicht in jedem Fall Macht-zu in Macht-über mündet, stellen sich jeweils Fragen danach, wer durch meine Selbstermächtigung eingeschränkt wird, ob diese Einschränkung gerechtfertigt ist usw. Soziale Akteur*innen bewegen sich nicht in einem luftleeren Raum, sondern beeinflussen sich gegenseitig und stehen manchmal in einem Konfliktverhältnis.

Brillenglas «Macht»

Mit dem didaktischen Model der Politik-Brille kann man das Basiskonzept Macht als Brillenglas verwenden, um politische Dimensionen in einem Unterrichtsgegenstand zu identifizieren, zu analysieren und zu bewerten. Wolfang Sanders verbindet in seinem Modell der Basiskonzepte die Grundfrage «Wer kann mit welcher Berechtigung Macht ausüben?»[6] mit dem Basiskonzept Macht. Weitere machtsensitive Fragen an einen Gegenstand sind z. B.:[7]

  • Was bedeutet Macht?
  • Wer hat in der vorliegenden Situation (z.B. Abstimmung im Klassenrat, Weltklimagipfel, Mobbing an der Schule, Gesetzesverabschiedung im Parlament) die Möglichkeit, die eigenen Interessen durchzusetzen? Wie und warum?
  • Wie sieht der Handlungsspielraum von Einzelnen aus? Wie kann dieser erweitert werden?
  • Wie werden Machtpositionen legitimiert?
  • Wann ist Macht transparent, wann nicht?
  • Welche Entscheidungs- und Handlungsspielräume habe ich (je nach Situation)?
  • Wodurch werden diese Spielräume begrenzt (je nach Situation)?
  1. Peter Imbusch, «Macht und Herrschaft in der wissenschaftlichen Kontroverse», in Macht und Herrschaft: Sozialwissenschaftliche Theorien und Konzeptionen, hg. von Peter Imbusch, 2. Aufl., Lehrbuch (Wiesbaden: Springer VS, 2012), 9, https://doi.org/10.1007/978-3-531-93469-3_1[ ↑ ]
  2. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie, 3. Aufl. (Tübingen: Mohr Siebeck, 1947), 28, http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k94382s[ ↑ ]
  3. Hanna F. Pitkin, The Concept of Representation (Berkeley: University of California Press, 1972), 276. [ ↑ ]
  4. Manuel Castells, Communication Power (Oxford: Oxford University Press, 2009), 13. [ ↑ ]
  5. Steven Lukes, Power: A Radical View, Studies in Sociology (London: Macmillan, 1974). [ ↑ ]
  6. Wolfgang Sander, «Wissen: Basiskonzepte der Politischen Bildung», hg. von Forum Politische Bildung, Informationen zur Politischen Bildung, Nr. 30 (2009): 58. [ ↑ ]
  7. Fragen übernommen aus: Vera Sperisen und Claudia Schneider, Basiskonzepte, POLIS, Nr. 11 (2019): 9, https://www.fhnw.ch/de/die-fhnw/hochschulen/ph/institute/institut-forschung-und-entwicklung/forschungszentren/zentrum-politische-bildung-und-geschichtsdidaktik/polis-das-magazin-fuer-politische-bildung/media/polis_19.pdf#page=5[ ↑ ]
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