Politik-Brille

POLIS Team

Viel Schulstoff, wenig Zeit. Mit diesem Dilemma sind Lehrpersonen und Lernende gleichermassen konfrontiert. Die Verankerung der Politischen Bildung im Lehrplan 21 wird deshalb unlängst als weiterer Zeiträuber im Schulalltag wahrgenommen. Diese Sichtweise lässt sich allerdings relativieren. Entscheidend ist, wie die Politische Bildung in den Schulalltag integriert werden kann. Dabei geht es in erster Linie um eine Erweiterung der Perspektive bei inhaltlichen Auseinandersetzungen, die nicht zwingend mehr Schulstoff bedeuten muss, sondern einen Gewinn an Tiefenschärfe bei bisherigen Inhalten bedeuten kann.

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Politik-Brille: den Blick für politische Perspektiven schärfen

Mit der Einführung des Lehrplan 21 soll Politische Bildung als fächerübergreifendes Thema in allen Fächern Eingang finden. Fragen der Politischen Bildung werden auch im Musikunterricht, bei der Deutschlektüre oder im Französischunterricht behandelt. Die Form dieser Auseinandersetzung kann von einer einzelnen gezielten Frage im Unterricht bis hin zu einer gesamten Projektwoche reichen. Gemeinsam ist diesen Sequenzen der Anspruch, die Politische Bildung als fächerübergreifendes Thema mit den jeweiligen Fachinhalten zu verbinden. Dies führt zur Frage, wie diese Form der Verknüpfung inhaltlich und didaktisch gelingen kann. Eine Antwort darauf ist die Politik-Brille. Diese didaktische Hilfestellung soll sowohl bei der Vorbereitung des Unterrichts, beim Unterrichten selber aber auch bei den Lernaktivitäten der Schüler*innen genutzt werden.

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Wann hilft die Politik-Brille?

Die Politik-Brille hilft, den genuin politischen Kern eines Sachthemas herauszuarbeiten. Ausgehend von einem Unterrichtsthema oder einer Alltagssituation an der Schule werden politische Perspektiven erkannt und mit den Schüler*innen bearbeitet. Die Inhalte können sehr unterschiedlich gelagert sein: Beispielsweise eine bevorstehende Fussballweltmeisterschaft (Sportunterricht), die Ausgangsfrage «Was ist bei der Social Media-Nutzung zu beachten?» (Klassenratsstunde), eine Einführung in moderne Musikstile (Musikunterricht) das Thema Städtebau zur Zeit der Industrialisierung (Geschichte) oder die Auseinandersetzung mit dem molekularen Aufbau von Plastik (Chemie). Alle diese Themen enthalten auch politische Dimensionen, die je nachdem mit den Lernenden intensiver oder nur am Rande bearbeitet werden können. Bei diesem Zugang geht es darum, die politischen Perspektiven, die vielleicht zuvor bereits unbewusst angesprochen wurden, sehr bewusst erkennen und konzeptuell benennen zu können. Dies hilft wiederum bei der klaren Vermittlung an die Schüler*innen.

Die Brillengläser

Schritt für Schritt: Wie wendet man die Politik-Brille an?

Die Basiskonzepte der Politischen Bildung dienen als austauschbare «Brillengläser» der Politik-Brille. Sie helfen, mit passenden Fragen den politischen Kern oder die politische Dimension von Fachinhalten sichtbar zu machen und so eine Auseinandersetzung damit zu ermöglichen. Das Beispiel eines didaktischen Coaching-Gesprächs dient hier als Anleitung zum alltäglichen Einsatz der Politik-Brille:

Schritt 1

«An welchen Themen arbeiten Sie mit Ihren Schüler*innen aktuell oder in naher Zukunft?»

Lehrperson: «Ich nehme im Geschichtsunterricht gerade das Thema Industrialisierung durch. Wir schauen uns an, welche gesellschaftlichen Veränderungen die Industrialisierung begleiteten. Wie wurde gearbeitet, wie gelebt?»
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Schritt 1
Schritt 2

«Was sind bei diesen Themen die politischen Perspektiven? Es ist möglich, dass das Thema hierzu noch mehr eingegrenzt werden muss.»

Lehrperson: «Die politische Perspektive ist mir noch nicht ganz klar. Wir beschäftigen uns gerade jetzt mit den Städten während der Industrialisierung. Mich würde deshalb interessieren: Was sind die politischen Perspektiven auf die Stadtentwicklung zu dieser Zeit?»
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Schritt 2
Schritt 3

«Entscheiden Sie sich für ein Brillenglas der Politik-Brille. Welche Fragen für eine weitere Auseinandersetzung ergeben sich, wenn Sie den Schulstoff aus dieser Perspektive betrachten?»

Lehrperson: «Ich wähle als erstes das Brillenglas Macht. Hier geht es darum, wer mit welcher Berechtigung Macht ausüben kann. Auf unser Thema angewandt könnte ich mit meinen Schüler*innen untersuchen, wer damals in den Städten mit welcher Berechtigung über die Gestaltung und Nutzung des Raumes entscheiden hat.
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Schritt 4

«Zum Verständnis von politischen Zusammenhängen hilft es zudem, wenn inhaltlich der Bogen in das Hier und Jetzt der Schüler*innen geschlagen wird.»

Lehrperson: «Ich kann mit meinen Schüler*innen darüber diskutieren, wer heutzutage über die Nutzung von Raum entscheidet. Angefangen beim Wohnraum: Wer wohnt in den Häusern in Dorf und Stadt und wem gehören sie? Oder wir diskutieren darüber, wer alles über die Gestaltung des öffentlichen Raumes entscheidet, zum Beispiel wenn eine Schule oder ein Fussballstadion gebaut werden sollen. Wie läuft so etwas ab? Welche Regelungen gibt es überhaupt? Da könnte man sicherlich auch gut mit Beispielen arbeiten. Solche aus dem Schulort selber oder auch Beispiele wie das politische Seilziehen rund um den Bau des Stadions auf dem Hardturmareal in Zürich.»
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Schritt 4

Was gilt es zu beachten?

Wie diese Fragen konkret in den Unterricht einfliessen, hängt von der weiteren Unterrichtsplanung, der zur Verfügung stehenden Zeit und dem Wissensstand der Lernenden ab. Entscheidend für den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler ist es, dass…
  • die Lehrperson die politische Perspektive bewusst einbringt.
  • die Lehrperson die Basiskonzepte kennt und mit dem Unterrichtsthema in Verbindung bringen kann. Die Lehrperson muss aber nicht auf alle Sachfragen eine qualifizierte Antwort haben. Im Gegenteil, das gemein- same Erarbeiten von Antworten entspricht dem kompetenzorientierten und konstruktivistischen Lernen.
  • die Lehrperson bei der Auseinandersetzung mit den Fragen in ihrem Unterricht eine Ergebnisoffenheit lebt. Diese schafft Raum, in welchem sich das Wissensnetz der Lernenden verbinden und erweitern kann. Gleichzeitig verlangt es nach dem vielbeschworenen Mut zur Lücke. Damit wird nicht nur Zeit gewonnen, sondern bei den Schüler*innen auch Raum zum Aktivieren von Lernprozessen geschaffen.
  • die Lehrperson bereit ist, auch von den Kindern und Jugendlichen zu lernen oder mit ihnen gemeinsam Neues zu erarbeiten. Damit einher geht ein grundsätzliches Interesse für die (politischen) Vorstellungen, Meinungen und Ideen der Schüler*innen. Im Unterricht muss die Auseinandersetzung mit Inhalten und der Austausch von Meinungen «echt» sein und nicht nur eine «inszenierte» Diskussion.

Text übernommen aus: Vera Sperisen und Claudia Schneider, «Sorry, aber leider null Zeit …», POLIS, Nr. 11 (2019): 19–22. Adaptiert für PB-Tools von Manuel S. Hubacher.

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