Partizipation von Jugendlichen in der Gemeinde

Oliver Dlabac

Bedürfnisse von Jugendlichen in der Gemeinde

Jugendliche haben innerhalb ihrer Wohngemeinde spezifische Bedürfnisse, welche sich von der übrigen Bevölkerung unterscheiden können. Dies gilt beispielsweise für die Gestaltung und Nutzungsmöglichkeiten des öffentlichen Raums (Parks, Plätze), aber auch für altersspezifische öffentliche Angebote (Jugendraum) oder die Anbindung und Fahrzeiten öffentlicher Verkehrsmittel (Nachtbus). Während in späteren Lebensphasen der eigene Haushalt sowie ein erweiterter Aktionsradius im Vordergrund stehen, sind Jugendliche verstärkt auf öffentliche Räume und gut erreichbare Angebote in ihrer näheren Umgebung angewiesen.

Jugendliche sind die wichtigsten Nutzer*innen öffentlicher Räume. Rund die Hälfte ihrer Freizeit verbringen Jugendliche draussen. Aber nicht nur aufgrund der hohen Nutzungszeit sind öffentliche Räume bedeutsam für Jugendliche, sondern auch aufgrund der Funktionen, die diese Räume erfüllen. Sie dienen für die Jugendlichen als «soziale Räume», «Identitätsräume», «Erkundungsräume» und «Aushandlungsräume». Das heisst, öffentliche Räume bieten Jugendlichen eine Bühne, um das Miteinander zu erlernen, um in Abgrenzung von Anderen das eigene Selbst kennenzulernen und zu entwickeln. Gerade abgelegene Räume bieten ihnen zudem die Möglichkeit, sich diese individuell anzueignen, und stellen damit Fluchtmöglichkeiten aus einem stark von Regeln durchsetzen Alltag dar. Da öffentliche Räume häufig von Nutzungskonflikten geprägt sind und unterschiedliche Vorstellungen zu öffentlich bereitzustellenden Angeboten bestehen, erlernen Jugendliche zudem das Aushandeln solcher Konflikte.[1]

Foto von Wyron A auf Unsplash

Stadt – Land – Agglo

Das Lebensumfeld von Jugendlichen kann sich jedoch stark unterscheiden, je nach Wohngemeinde oder je nach Gemeinde der besuchten Schule. Dabei werden manchmal vereinfachend Gegensätze gezeichnet zwischen ländlichem Idyll einerseits, wo sich die Jugendlichen kennen und fest in die dörfliche Gemeinschaft eingebunden sind, und pulsierenden Städten andererseits, wo Jugendliche von einer Vielzahl von Konsum- und Begegnungsmöglichkeiten wählen können. In Wirklichkeit bewegen sich die meisten Jugendlichen im «Zwischenstadtland» Schweiz aber irgendwo zwischen diesen beiden idealtypischen Bildern. Für Jugendliche ist es wichtig, dass sie sich die Welt alleine und mit anderen aneignen können. Diese Möglichkeit der Gestaltung der Lebenswelt hängt aber stark vom sozialen Hintergrund der Jugendlichen, von den Begegnungsmöglichkeiten mit Gleichaltrigen, und von der Unterstützung durch Erwachsene ab. Fehlen entsprechende Voraussetzungen, suchen Jugendliche entsprechende Konsummöglichkeiten, Anonymität und die Öffentlichkeit in nahegelegenen Städten.[2]

Formen der Beteiligung von Jugendlichen

Schnell können Konflikte dazu führen, dass Verbote ausgesprochen und Jugendliche aus Räumen verdrängt werden. Daneben gibt es jedoch diverse Möglichkeiten, Jugendliche an der Gestaltung von Räumen zu beteiligen. Je nach Grad der Gestaltungsmöglichkeit von Jugendlichen lassen sich idealtypisch vier Formen unterscheiden:[3]

Jugendliche werden über ihre Kanäle (z. B. Social Media) über Vorhaben informiert.

Jugendliche können selbst Stellung zu Vorhaben nehmen und Anliegen einbringen, z. B. im Rahmen von Workshops oder Befragungen.

Jugendliche können an Entscheidungen teilhaben und sind hierfür in den relevanten Gremien repräsentiert (z. B. durch eine Jugendvertretung oder die Jugendarbeit).

Jugendliche organisieren sich vollständig selbst und gestalten Planung und Durchführung von Vorhaben eigenverantwortlich. In der Praxis kommt dieses Prinzip in der Regel insofern an Grenzen, als Jugendlichen oft die nötigen finanziellen oder personellen Ressourcen oder relevantes Wissen fehlen.

Tatsächlich ist bei Projekten der Jugendpartizipation kritisch zu fragen, ob die Partizipation über die Stufe der reinen Information hinausgeht. Wirken sich Mitwirkungsverfahren und Jugendvertretungen auch wirklich auf die Entscheidungen in der Gemeinde aus? Steht überhaupt die Gestaltung eigener Räume für die Jugendlichen im Vordergrund oder geht es hauptsächlich um die Heranführung der Jugendlichen an die Wertvorstellungen der Erwachsenen? Ist mit Selbstorganisation lediglich gemeint, dass Schulklassen den Jugendraum neu streichen oder dass Jugendliche einen Stand am Weinerntefest betreiben? Die Antworten auf diese Fragen dürften je nach Gemeinde sehr unterschiedlich ausfallen.

Initiativen von Jugendlichen

In zahlreichen Gemeinden in der Schweiz finden sich durchaus Beispiele dafür, dass sich Jugendliche selbst für die Einrichtung von Angeboten einsetzen. Die für die Lektion ausgewählten Fallbeispiele umfassen verschiedene Beispiele für solche Engagements. Darin setzen sich Jugendliche für die Aufrechterhaltung eines Nachtbusangebots ein, engagieren sich für einen Selecta-Automaten und eine Graffitiwand, setzen sich für die Erhaltung eines Jugendtreffpunkts ein oder betätigen sich in einem Jugendparlament.

Engage.ch: Ein Projekt verleiht Jugendlichen ein Sprachrohr

Eine Möglichkeit für Jugendliche, um ihre Anliegen in der eigenen Gemeinde zu verfolgen, ist die Plattform engage.ch. Hierbei handelt es sich um ein Angebot des Dachverbands Schweizer Jugendparlamente (DSJ). Über die Plattform Engange.ch können Jugendliche ihre Anliegen einreichen. Über das Projekt wird dann ein Kontakt mit Politiker*innen hergestellt, die sich dem Anliegen annehmen wollen. Bislang (Stand März 2021) wurden bereits 3500 Anliegen von Jugendlichen eingereicht und von über 100 Politiker*innen aufgegriffen. 120 Projekte oder Anliegen wurden umgesetzt. Die SRF-Sendung 10vor10 berichtete am 18.01.2019 über ein Projekt von engage.ch im Kanton Solothurn und beschrieb den Projektablauf.

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Forschungsergebnisse zur Partizipation von Jugendlichen in den Gemeinden

  1. Delia Wiest, Samuel Flükiger, und Erich Schwarz, «Beteiligung bringt Verantwortung», Polis, Nr. 9 (2016): 15, https://www.fhnw.ch/de/die-fhnw/hochschulen/ph/institute/institut-forschung-und-entwicklung/forschungszentren/zentrum-politische-bildung-und-geschichtsdidaktik/polis-das-magazin-fuer-politische-bildung/polis_16_alles_agglo.pdf#page=8 [ ↑ ]
  2. Christian Reutlinger, «Wo gedeihen Kinder und Jugendliche ‹besser› – in der Stadt oder auf dem Land?», in Herausforderung und Chance offene Kinder- und Jugendarbeit im ländlichen Raum, hg. von Dachverband Offene Kinder- und Jugendarbeit Schweiz, Bd. 42, InfoAnimation (Bern: Dachverband Offene Kinder- und Jugendarbeit Schweiz, 2017), 4–5. [ ↑ ]
  3. Delia Wiest, Samuel Flükiger und Erich Schwarz, «Beteiligung bringt Verantwortung», Polis, Nr. 9 (2016): 16, https://www.fhnw.ch/de/die-fhnw/hochschulen/ph/institute/institut-forschung-und-entwicklung/forschungszentren/zentrum-politische-bildung-und-geschichtsdidaktik/polis-das-magazin-fuer-politische-bildung/polis_16_alles_agglo.pdf#page=8 [ ↑ ]
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