Grund- und Menschenrechte: Wo ist der Unterschied?

Lisa Fahrni

Wie stehen Grund- und Menschenrechte zueinander?

Die in der Schweizer Bundesverfassung verankerten Grundrechte überschneiden sich inhaltlich teilweise mit den Menschenrechten, wie sie in völkerrechtlichen Verträgen verankert sind. Beide haben das Ziel, Menschen zentrale, unveräusserliche Rechte zu garantieren. Einige dieser Menschenrechtsverträge, wie etwa die UNO-Pakte, sind inzwischen fast auf der ganzen Welt gültig. Auch für die Schweiz sind neben den Grundrechten in unserer Verfassung internationale Menschenrechtsverträge wie die Europäische Menschenrechtskonvention wichtig.

Unterscheidung von Grundrechten und Menschenrechten

Sowohl die Menschenrechte als auch die Grundrechte haben das Ziel, den einzelnen Menschen in seinen wichtigsten Lebensbereichen zu schützen. Als Grundrechte werden jene Rechte bezeichnet, die in der Bundesverfassung verankert sind und damit zum Landesrecht der Schweiz gehören. Jedes Land kann eigene Grundrechte einführen. Die Schweizer Verfassung enthält beispielsweise den Schutz der Privatsphäre, die Medienfreiheit und die Glaubens- und Gewissensfreiheit. In der Schweiz kommen dazu vielfach noch Grundrechte in den kantonalen Verfassungen. Internationale Menschenrechte sind hingegen im internationalen Recht, dem Völkerrecht, verankert. Das Völkerrecht umfasst unterschiedliche Rechtsquellen für Menschenrechte. Dazu gehört etwa die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948, welche zwar rechtlich nicht verbindlich war aber trotzdem noch heute einen hohen symbolischen Wert hat. Praktisch bedeutender sind heute der UNO-Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte sowie der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Dazu kommen regionale Menschenrechtsabkommen, wie etwa die Banjul Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker in Afrika. Für die Schweiz besonders wichtig ist die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), wie in einem anderen Hintergrundtext deutlich wird. Daneben gibt es weitere internationale Verträge wie etwa das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (KRK) vom 20. November 1989.[1]

Menschenrechte im Völkerrecht

Ein wichtiger Vorläufer internationaler Menschenrechtsbestrebungen war etwa der Kampf gegen den Sklavenhandel, welcher am Wiener Kongress 1815 bereits thematisiert wurde und 1926 in ein Übereinkommen über die Sklaverei mündete. Eine Besonderheit der Menschenrechte ist, dass Sie Individuen einen völkerrechtlichen Anspruch verleihen. Das ist im Völkerrecht nicht der Normalfall: Typischerweise gelten als (klassische) Völkerrechtssubjekte nur Staaten und internationale Organisationen.[2]

Die internationalen Menschenrechtsverträge gelten jeweils für jene Staaten, welche diese Verträge ratifiziert haben. Da alle Staaten souverän sind, können sie frei entscheiden, ob sie einen solchen Vertrag unterschreiben möchten oder nicht. Die UNO-Pakte wurden inzwischen von den meisten Ländern ratifiziert. Ausnahmen sind etwa die USA, welche den Sozialpakt nicht ratifiziert haben und China, das den Zivilpakt nicht ratifiziert hat. Beide Pakte nicht ratifiziert haben bisher zum Beispiel Kuba, der Oman, Singapur, Saudi-Arabien und Malaysia.[3] Einige menschenrechtliche Garantien werden jedoch als so wichtig angesehen, dass sie zum sogenannten Gewohnheitsrecht zählen und damit für alle Staaten verbindlich sind, egal, ob diese einen Vertrag unterschrieben haben. Zu diesen gehören beispielsweise das Verbot von Völkermord, Sklaverei und Folter.[4]

Geltung internationaler Menschenrechtsverträge in der Schweiz

Haben Staaten die Menschenrechtsverträge ratifiziert, können sie diese Verträge entweder direkt anwenden, als wären sie Teil der eigenen Rechtsordnung (Monismus) oder aber sie setzen diese zuerst im innerstaatlichen Recht um (Dualismus). In der Schweiz gilt das System des Monismus, das heisst, völkerrechtliche Verträge gelten automatisch, sobald sie für die Schweiz in Kraft treten.[5]

Wichtige Menschenrechtsverträge sind zum Beispiel die beiden UNO-Pakte, die für die Schweiz im Jahr 1992 in Kraft getreten sind, oder auch die EMRK, die für die Schweiz 1974 in Kraft getreten ist. Zwar war die Schweiz schon seit 1963 Mitglied des Europarates, für den Beitritt zur EMRK waren jedoch einige Anpassungen im innerstaatlichen Recht nötig, darunter die Einführung des Frauenstimmrechts.[6]

Im Schweizer Recht gelten also sowohl die in der Verfassung verankerten Grundrechte als auch solche aus internationalen Menschenrechtsverträgen. Da die internationalen Verträge oft einen Mindeststandard darstellen, auf welchen sich verschiedene Länder einigen konnten, vermitteln die Grundrechte der Bundesverfassung häufig einen weitergehenden Schutz. Auch das Gegenteil kann jedoch der Fall sein, dass nämlich ein Recht etwa aus der EMRK mehr Ansprüche vermittelt als unser Landesrecht. Diese völkerrechtlichen Garantien können den Menschen in der Schweiz unmittelbar Rechtsansprüche vermitteln und sind wie die Grundrechte der Bundesverfassung auch durchsetzbar.[7]

Inhalte und Überschneidungen

Beispiele für Menschenrechte aus den UNO-Pakten sind etwa das Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen, die Gedankens-, Gewissens- und Religionsfreiheit und das Recht auf Leben. Die Menschenrechte und die Grundrechte in der Schweiz überschneiden sich teilweise inhaltlich, aber sie enthalten nicht genau dieselben Rechte. So ist das Recht auf Leben sowohl im UNO-Pakt II als auch in unserer Bundesverfassung enthalten. In unserer Verfassung verlangt dieses jedoch auch ein Verbot der Todesstrafe. Das wird im UNO-Pakt II ursprünglich nicht verlangt. Ein späteres Fakultativprotokoll zum UNO-Pakt II, welches auf die Abschaffung der Todesstrafe abzielt, wurde von einem Teil der Staaten unterzeichnet.[8]

Die Grundrechte in der Schweiz

Schon vor der Bundesverfassung von 1848 kannte die Schweiz Grundrechte, etwa aus der Verfassung der Helvetik oder in verschiedenen Kantonsverfassungen. 1848 wurden in der Verfassung beispielsweise die Religionsfreiheit – mit dem Sonderbundskrieg im Hinterkopf und nur für christliche Konfessionen – und die Pressefreiheit verbürgt. Die Verfassungsrevision von 1874 führte zu einer Zunahme der Bundeskompetenzen. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Veränderungen sind auch die Grundrechte seither historisch gewachsen und wurden vor der Totalrevision 1999 insbesondere auch als ungeschriebene Grundrechtsgarantien durch das Bundesgericht anerkannt.[9]

Es handelt sich bei den Menschenrechten um grundlegende Rechte, welche jedem und jeder allein aufgrund der Tatsache zukommen sollen, dass er oder sie ein Mensch ist. Die Grundrechte in der Schweizer Bundesverfassung sind also grundsätzlich Menschenrechte, die all jenen Menschen zukommen, die sich in der Schweiz aufhalten. Zusätzlich enthält der Grundrechtskatalog in unserer Verfassung jedoch auch sogenannte Bürgerrechte. Diese kommen nun gerade nicht allen Menschen zu, sondern nur Schweizer Staatsangehörigen. Zu den Bürgerrechten gehören die Niederlassungsfreiheit und die politischen Rechte auf Bundesebene. Einige Kantone haben das anders geregelt, etwa der Kanton Neuenburg. Dort dürfen auch Ausländer*innen an kantonalen Abstimmungen teilnehmen, wenn sie seit mindestens fünf Jahren im Kanton wohnen. Eine Besonderheit brachte auch das Freizügigkeitsabkommen (FZA) mit der Europäischen Union: Dieses enthält die Garantie, dass Angehörige von EU-Mitgliedsstaaten bezüglich der Niederlassung die gleiche Stellung erhalten, wie Schweizer Bürger*innen. Damit kommt also auch ihnen die Niederlassungsfreiheit zu. Auch zwischen der Schweiz und den EFTA-Staaten besteht ein solches Abkommen.[10]

Die Grundrechte in unserer Verfassung können kategorisiert werden in Freiheitsrechte, Gleichheitsrechte, Sozialrechte, Verfahrensgarantien und politische Rechte. Die Rolle des Staates bei der Grundrechtsverwirklichung wird in einem anderen Hintergrundtext besprochen.

  • Die grösste Gruppe der Freiheitsrechte sichert Einzelnen einen Anspruch zu, bestimmte Handlungen vorzunehmen oder zu unterlassen, ohne, dass der Staat sich einmischt. Zu den Freiheitsrechten gehören etwa die Medienfreiheit, die Versammlungsfreiheit und die persönliche Freiheit.
  • Die Gleichheitsrechte vermitteln ein Recht auf faire und gleiche Behandlung Einzelner bei allen staatlichen Handlungen. Der Staat soll Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich behandeln, jedoch andererseits auch sachliche Differenzierungen vornehmen, wo diese nötig sind. Zentrale Gleichheitsrechte sind die Rechtsgleichheit und das Diskriminierungsverbot.
  • Die Sozialrechte vermitteln einen minimalen, einklagbaren Standard an Sicherheit und verpflichten den Staat zu Leistungen. Dazu gehören das Recht auf Hilfe in Notlagen und der Anspruch auf Grundschulunterricht.
  • Zu den Verfahrensgrundrechten zählen etwa der Anspruch auf rechtliches Gehör oder die Garantie eines unabhängigen und unparteiischen Gerichts. Sie sind im eigentlich ein Mittel zur Durchsetzung anderer Rechte, indem sie den Ablauf und die Rechte Einzelner im Verfahren regeln.
  • Die politischen Rechte schliesslich werden durch Artikel 34 BV geschützt. Sie vermitteln einen Anspruch auf Beteiligung an politischen Entscheidungen durch Wahlen, Abstimmungen, Initiativen und Referenden. Artikel 34 BV schützt auch die politischen Rechte in Kantonen und Gemeinden, soweit diese dort gewährleistet werden.[11]

Diese Grundrechte müssen in der gesamten Rechtsordnung verwirklicht werden. Sie beeinflussen damit auch das Zivil- und Strafrecht in der Schweiz. Sie müssen bei der Ausführung jeglicher staatlicher Aufgaben immer beachtet werden.[12]

  1. Vgl. Kiener, Regina, Walter Kälin, und Judith Wyttenbach. Grundrechte. 3. Aufl. Bern: Stämpfli Verlag, 2018, 11/14f./22f.; Kälin, Walter, Astrid Epiney, Martina Caroni, und Jörg Künzli. Völkerrecht. Eine Einführung. 4. Aufl. Bern: Stämpfli Verlag, 2016, 272-275. [ ↑ ]
  2. Vgl. Hertig Randall, Maya. Introduction aux droits de l’homme. Schulthess Editions romandes, 2014, 12f., https://www.swisslex.ch/de/doc/bookdoc/89a20940-4ef9-44d1-83fe-45ca99e3fbca/search/134541958; Kälin, Walter, Astrid Epiney, Martina Caroni, und Jörg Künzli. Völkerrecht. Eine Einführung. 4. Aufl. Bern: Stämpfli Verlag, 2016, 271. [ ↑ ]
  3. Vgl. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Pub. L. No. 0.103.1, Amtliche Sammlung (AS) 1993 725 (1992). https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1993/725_725_725/de.; Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Pub. L. No. 0.103.2, AS 1993 750 (1992). https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1993/750_750_750/de[ ↑ ]
  4. Vgl. o.A. «Die Menschenrechte im Rahmen der Vereinten Nationen (UNO) - Einführung». humanrights.ch, 21. Dezember 2012. https://www.humanrights.ch/de/ipf/grundlagen/einsteiger-innen/uno/; Wagner, Beate. «50 Jahre UN-Menschenrechtspakte». Aus Politik und Zeitgeschichte, UN und Menschenrechte, 10–11 (4. März 2016): 48; Kälin, Walter, Astrid Epiney, Martina Caroni, und Jörg Künzli. Völkerrecht. Eine Einführung. 4. Aufl. Bern: Stämpfli Verlag, 2016, 276. [ ↑ ]
  5. Vgl. Kiener, Regina, Walter Kälin, und Judith Wyttenbach. Grundrechte. 3. Aufl. Bern: Stämpfli Verlag, 2018, 12/16. [ ↑ ]
  6. Vgl. Kiener, Regina, Walter Kälin, und Judith Wyttenbach. Grundrechte. 3. Aufl. Bern: Stämpfli Verlag, 2018, 12f.; Kley, Andreas, und Martin Sigrist. «Der Beitritt der Schweiz  zur EMRK – Vorbereitung  und Umsetzung des Beitritts  vor und nach 1974». In 40 Jahre Beitritt der Schweiz zur EMRK. Referate zur Jubiläumstagung vom 27. November 2014, 17–52. Zürich, Basel, Genf: Schulthess Juristische Medien AG, 2015, 35/38, https://www.ius.uzh.ch/dam/jcr:fc5f0694-d22a-4175-9974-53847d1a5187/Kley_Sigrist_Der%20Beitritt%20der%20Schweiz%20zur%20EMRK_2015.pdf[ ↑ ]
  7. Vgl. Kiener, Regina, Walter Kälin, und Judith Wyttenbach. Grundrechte. 3. Aufl. Bern: Stämpfli Verlag, 2018, 16ff./22; Zünd, Andreas. «Grundrechtsverwirklichung ohne Verfassungsgerichtsbarkeit». Aktuelle Juristische Praxis 22 (2013): 1349–1357. [ ↑ ]
  8. Vgl. o.A. «Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte». humanrights.ch, 11. November 2020. https://www.humanrights.ch/de/ipf/grundlagen/rechtsquellen-instrumente/uno/pakt-ii/; Kiener, Regina, Walter Kälin, und Judith Wyttenbach. Grundrechte. 3. Aufl. Bern: Stämpfli Verlag, 2018, 135. [ ↑ ]
  9. Vgl. Kley, Andreas. «Einleitung zum Kommentar. Geschichtliche Einleitung». In Die Schweizerische Bundesverfassung. St. Galler Kommentar, 3. Aufl., 1:1–22. ZÜRICH: Dike Verlag AG, 2014, 11ff. https://www.swisslex.ch/de/doc/commentarydoc/ac67db5d-8e72-4ade-905c-72d37d8a3c07/search/134563704; Kiener, Regina, Walter Kälin, und Judith Wyttenbach. Grundrechte. 3. Aufl. Bern: Stämpfli Verlag, 2018, 5. [ ↑ ]
  10. Vgl. Kiener, Regina, Walter Kälin, und Judith Wyttenbach. Grundrechte. 3. Aufl. Bern: Stämpfli Verlag, 2018, 23/198; Bisaz, Corsin. «Politische Rechte der Ausländerinnen und Ausländer – Und es gibt sie doch! / Das Ausländerstimmrecht in der Schweiz – Formen und Rechtsungleichheiten». In Politische Rechte für Ausländerinnen und Ausländer?, DSF -  Schriften zur Demokratieforschung 13. Zürich: Schulthess Juristische Medien, 2017, 111f. [ ↑ ]
  11. Vgl. Kiener, Regina, Walter Kälin, und Judith Wyttenbach. Grundrechte. 3. Aufl. Bern: Stämpfli Verlag, 2018, 26-29; Art. 17 BV; Art. 22 BV; Art. 10 Abs. 2 BV; Art. 8 BV; Art. 12 BV; Art. 19 BV; Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 30 Abs. 1 BV. [ ↑ ]
  12. Vgl. Kiener, Regina, Walter Kälin, und Judith Wyttenbach. Grundrechte. 3. Aufl. Bern: Stämpfli Verlag, 2018, 28/41. [ ↑ ]
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