Im Zentrum der dritten Lektion steht die Auseinandersetzung mit dem Song «079» des Berner Mundart-Rap-Duos Lo & Leduc. Der im Februar 2018 veröffentlichte Song war ein Überraschungserfolg, der zum Sommerhit wurde: 21 Wochen lang hielt er sich an der Spitze der Charts. Damit ist dies offiziell die erfolgreichste Single in der Geschichte der Schweizer Hitparade.
Songs wie «079» sind im Freizeitkontext verortet. Das heisst, sie werden nebenbei gehört, Songinhalte werden typischerweise nicht kritisch reflektierend rezipiert. Vielmehr greifen die Hörer*innen Text- und Melodiefetzen heraus, wandeln sie in kreativer Weise für ihren Alltagsgebrauch ab oder entwickeln sie in der Peergruppe weiter. Der Songtitel bezieht sich auf die Mobiltelefonvorwahl 079. Diese wird von der Swisscom vergeben, und ist damit unmittelbar anschlussfähig an die Alltagserfahrung vieler Jugendlicher (und Erwachsener) in der Schweiz. In Verbindung mit dem Rapgesang in Berner Mundart, welcher als sympathisch und entspannt empfunden wird, punktet der Song mit lässiger «Swissness».
Inhaltlich geht es im Song um die Vorwahl 079: Ein inszeniertes Ich, performt von den Rappern Lo & Leduc, möchte per Anruf bei der Auskunft die private Telefonnummer der dort beschäftigten namenlosen «Sie» erhalten. Diese gibt sie ihm aber nicht, sondern nennt ihm auf seine Bitte «wenigstens» ihre Vorwahl. Das tönt im mehrfach wiederholten Refrain so: «‹0-7-9› het si gseit, ‹Du weisch immer no nüt›, het si gseit».
Ein «close reading» des Songtexts ergibt folgende problematische Aspekte:
Es wird aus der Perspektive eines namenlosen Ich erzählt. Die Perspektive der gleichfalls namenlosen Frau («sie») lässt sich nur aus dieser Sicht rekonstruieren. «Sie» gibt ihre Privatnummer nicht heraus, obwohl «sie» mehrfach deswegen kontaktiert wird. Die Formulierung «nidmau tschüss het si gseit» zeigt, dass «sie» ihm eine Abfuhr erteilt, kein weitergehendes Interesse hat. Anstatt dieses «nein» zu respektieren, wird die Suche nach der Nummer für das inszenierte Ich zur (obsessiven) Herausforderung. Das ist problematisch, denn auch Stalker verfolgen ihr Opfer und kennen darin keine Grenze.
Als Gegenargumente könnten folgende Aspekte dienen:
Es geht im Song nicht um konkrete Personen, sondern um Typen. Das inszenierte Ich ist zwischen den Stereotypen des Latin Lovers («per favore») und des Nerds («10 Millione Kombinatione») angesiedelt.
Flirten ist per se eine kalkulierte Grenzüberschreitung, und erscheint hier in einer witzigen Übertreibung, denn: a.) Die Methode, die Nummer mathematisch herauszubekommen, ist überraschend im Kontext des Flirtens; b.) Die Wendung ins Absurde zeigt, dass es witzig gemeint ist: kein Mensch ruft sechseinhalb Jahre lang pausenlos Nummern an.
Songs widerspiegeln gesellschaftliche Werte und Normen und können (gewollt oder ungewollt) sexistische Botschaften transportieren. Wird das Musikvideo eingehend untersucht, so lassen sich Hinweise darauf finden, dass darin ein übergriffiges Verhalten in lustiger Weise dargestellt und somit verharmlost wird. Die oben genannten alltäglichen Nutzungskontexte und Abwandlungen zeigen, dass daraus auch «nur (ein) Spass» gemacht werden kann, was im jeweils konkreten Kontext angeschaut werden sollte. Insofern eignet sich der Song «079» sehr gut dafür, kontroverse Positionen auszuloten.
Nach den Analysen des Musikvideos bzw. der Karikatur bietet es sich an, den Fokus auf die Funktion solcher Medientypen im Zusammenhang mit der politischen Kommunikation zu verschieben, und damit die übergeordneten gesellschaftlichen Fragen in den Blick zu nehmen.