Lernziele der Politischen Bildung

Julia Thyroff und Manuel Hubacher

Vom Pauken zum Können​

Im Unterschied zu klassischen Lehrplänen, die primär definierten, welche Inhalte mit dem Unterricht abgedeckt werden müssen, sind kompetenzorientierte Lehrpläne outputorientiert. Es werden Ziele definiert, die die Schüler*innen erreichen sollen, und zwar in Form von Kompetenzen, über die sie verfügen sollen. Doch was genau sind Kompetenzen? In der pädagogischen und didaktischen Literatur werden Kompetenzen in der Tradition Franz E. Weinerts oft als ein Mix aus Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften definiert.[1] Anders ausgedrückt: Es geht darum, dass Schüler*innen kognitiv in der Lage sein sollen, das Handwerkszeug beherrschen sollen und noch dazu bereit sein sollen, etwas Bestimmtes zu tun.

Der Ansatz der Kompetenzorientierung bildet also den Gegenpol zum Modell des sogenannten Nürnberger Trichters, bei dem das Eintrichtern und Auswendiglernen von Inhalten im Zentrum steht. Didaktisch wird mit dem Kompetenzansatz an die Tradition der Reformpädagogik angeknüpft. Schüler*innen sollen selbständig denken und handeln lernen, statt unreflektiert Fakten zu pauken. Für viele Lehrpersonen ist dieses Anliegen keineswegs neu. Neu sind allenfalls die konkreten Kompetenzmodelle, die seit einigen Jahren von den Fachdidaktiken der unterschiedlichen Fächer hervorgebracht werden.

Kompetenzen in der Politischen Bildung

Als Grundlage für die Materialien auf PB-Tools arbeiten wir mit dem Kompetenzmodell von Reinhart Krammer.[2] Übergeordnetes Ziel für Krammer ist es, dass die Schüler*innen selbständig und reflektiert politisch Denken und Handeln lernen.[3] Dazu gehören vier Kompetenzen, wobei anzumerken ist, dass sich diese Kompetenzen in der Praxis überschneiden und im Unterricht selten einzeln angebahnt werden können.

Politische Urteilskompetenz

Bei dieser Kompetenz geht es darum, dass Schüler*innen politische Entscheidungen, Probleme und Kontroversen verstehen, diese selbstständig beurteilen und ihr Urteil begründen können. Umgekehrt können sie auch bereits existierende Urteile anderer überprüfen und bewerten.

Soll Massentierhaltung verboten sein? Naheliegende Fälle, anhand derer sich die verschiedenen Facetten politischer Urteilskompetenz trainieren lassen, sind aktuelle oder vergangene Volksabstimmungen. Im Vorfeld von Volksabstimmungen finden sich im öffentlichen Diskurs zahlreiche Stellungnahmen zum Abstimmungsthema (z. B. Abstimmungsbüchlein, Plakate, Reden, Diskussionsrunden), die sich im Unterricht analysieren lassen: Welche Argumente kommen darin vor? Welche Perspektiven fliessen ein, welche nicht? Auf welche Werte (z. B. Tierwohl) wird Bezug genommen? Welche gesellschaftlichen Gruppen werden durch welche Art der Argumentation bevorzugt oder benachteiligt? Schüler*innen sollen lernen, Stellungnahmen im politischen Diskurs kritisch zu durchleuchten und zu bewerten (vgl. hierzu vertiefend: Methodenkompetenz). Dies hilft ihnen zugleich dabei, fundierte eigene Urteile zu einem Thema zu formulieren.

Benötigtes Arbeitswissen

Kompetenzen ohne Wissen? Das ist wie Stricken ohne Wolle! Ohne eine vertiefte Einarbeitung in den zur Diskussion stehenden Gegenstand sind Lernende nicht in der Lage, begründete Urteile zu formulieren. Was genau bedeutet «Massentierhaltung»? Welche Regeln bestehen bis anhin für die Tierhaltung in der Schweiz? Wie sieht eine artgerechte Tierhaltung aus? Was genau wird vom Initiativkomitee gefordert? Welche Konsequenzen hat ein «Ja» oder «Nein» für unterschiedliche Gruppierungen der Gesellschaft (z. B. Landwirte), für die Umwelt und mich selbst?

Soll die Schulmensa künftig nur noch Produkte aus biologischer Landwirtschaft anbieten? Politische Urteilskompetenz der Lernenden lässt sich auch im Nahraum trainieren. Während ein Teil der Klasse die Idee gut findet, findet ein anderer den aktuellen «Bio-Hype» eher peinlich und unnötig. Halima möchte Biodiversität fördern, Yoshio befürchtet, dass ein Mittagessen in der Mensa bald nicht mehr bezahlbar sein wird, Pelle sorgt sich um das Wohl von Tieren und My hat von ihren Eltern gehört, dass «Bio»-Labels sowieso nur Etikettenschwindel seien. Urteilskompetenz bedeutet, dass Lernende in der Lage sind, sich mit unterschiedlichen Positionen und den dahinterstehenden Beweggründen und Werten auseinanderzusetzen. Auf diese Weise sollen sie zugleich befähigt werden, sich selbst ein begründetes eigenes Urteil zu bilden.

Benötigtes Arbeitswissen

Urteilskompetenz ist ohne Arbeitswissen nicht denkbar. Auch bei diesem Beispiel braucht es eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Sachgegenstand: Was bedeutet überhaupt «Bio», was steckt dahinter? Welche Vor- und Nachteile hat biologische Landwirtschaft gegenüber herkömmlicher Landwirtschaft, sei es für Landwirte, Konsument*innen, den Wirtschaftsstandort Schweiz, mit Blick auf Artenvielfalt, Gesundheit, Praktikabilität usw.? Und welche Vor- und Nachteile hätte eine neue Richtlinie für die Schulmensa?

Politische Handlungskompetenz

Bei dieser Kompetenz geht es darum, am Finden von Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen und Probleme mitzuwirken. Hierzu gehört, dass die Schüler*innen ihre eigenen Positionen einbringen können, aber auch, dass sie die Interessen und politischen Positionen anderer aufgreifen und verstehen, um gemeinsam nach einer Lösung für ein bestimmtes Problem zu suchen. Hierzu zählt die Bereitschaft zum Kompromiss wie auch die Toleranz gegenüber abweichenden Haltungen.

Welche Möglichkeiten habe ich, um Anliegen in meiner Gemeinde einzubringen? Schulische Politische Bildung soll Jugendliche zwar nicht aktiv zu Partizipation aufrufen, wohl aber ihnen Möglichkeiten der gesellschaftlichen Partizipation aufzeigen.

Beispielhaft ist dies in der Unterrichtseinheit «Partizipation von Jugendlichen in der Gemeinde» verwirklicht. Anhand von vier Fallbeispielen lernen die Schüler*innen Fälle kennen, in welchen sich Jugendliche aus anderen Gemeinden mit unterschiedlichen Mitteln für unterschiedliche Anliegen eingesetzt haben (z. B. Nachtbus, Jugendraum). Auf dieser Basis erarbeiten sie eine Strategie, mit der sie eigene Anliegen in der eigenen Gemeinde einbringen könnten.

Jugendliche Person hebt Hand

Partizipation von Jugendlichen in der Gemeinde

Benötigtes Arbeitswissen

Wissen über die Möglichkeiten, die grundsätzlich zum Einbringen von Anliegen in einer Gemeinde zur Verfügung stehen.

Wohin soll die Abschlussreise gehen? Politische Handlungskompetenz lässt sich auch an Beispielen aus dem schulischen Alltag trainieren. Schüler*innen erhalten in diesem Beispiel die Aufgabe, sich selbständig auf eine Destination für die Schulreise zu einigen und dabei einerseits bestimmte Rahmenbedingungen einzuhalten (z. B. Budget, Entfernung), andererseits möglichst viele der in der Klasse vertretenen Perspektiven und Wünsche einfliessen zu lassen. Diese Aufgabe erfordert von den Lernenden ein Bewusstwerden und Artikulieren der eigenen Anliegen wie auch ein genaues Zuhören, Identifizieren und Systematisieren der in der Klasse vorhandenen Bedürfnisse, ein Aushandeln und das Schliessen von Kompromissen, z. B. «Vielleicht kann mein Bedürfnis α nicht berücksichtigt werden, aber ich bin bereit, davon abzuweichen, wenn unser Reiseziel stattdessen mein Bedürfnis φ erfüllt». In einem solchen Setting werden wichtige demokratische Kompetenzen an einem konkreten Beispiel trainiert.

Benötigte Vorgaben

Was sind die Rahmenbedingungen (z. B. verfügbares Budget)? Welche Anforderungen muss die Destination aus Sicht der Lehrperson zwingend erfüllen?

Benötigtes Arbeitswissen

Recherchen darüber, welche Destination inwiefern welche Bedürfnisse erfüllt, und welche Rahmenbedingungen/Einschränkungen gegeben sind (z. B. Wo gelten welche Einreisebestimmungen? Alle Mitschüler*innen gleichermassen betroffen?)

Politische Methodenkompetenz

Bei dieser Kompetenz geht es darum, dass Schüler*innen politische Botschaften in unterschiedlichen Medien erkennen, einordnen und kritisch analysieren können. Zudem dient Methodenkompetenz dazu, dass sich die Schüler*innen auch selbst politisch artikulieren können. Hierzu gehören Fähigkeiten wie die Beschaffung und Überprüfung von Informationen und die Beherrschung verschiedener Artikulationsformen (z. B. Textarten).

Exemplarisch lässt sich Methodenkompetenz trainieren, indem mit Lernenden eine Diskussionsrunde (z. B. «Club» von SRF) angeschaut und analysiert wird. Liegt der Schwerpunkt auf Methodenkompetenz, geht es hierbei weniger um die inhaltliche Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Argumenten, sondern vielmehr um eine Auseinandersetzung mit dem Format: Wie funktioniert diese spezifische Form der Debatte? Wie viele Akteur*innen sind eingeladen bzw. wie viele/welche Positionen sind dabei repräsentiert? Welche Phasen enthält das Format (Eingangsstatements vs. Debatte)? Welche Rolle kommt dem Moderator zu? Gibt es Gesprächsregeln? Wie lässt sich die «Gesprächskultur» insgesamt beurteilen?

Im Bereich der Methodenkompetenz ist zentral, dass Lernende unterschiedliche Methoden und Formate nicht nur kennenlernen und analysieren können, sondern dass sie vor allem auch in die Lage versetzt werden, diese anzuwenden. Hierzu gehören beispielsweise argumentative Texte, in welchen Schüler*innen zu einer Leitfrage Pro- und Kontraargumente darlegen und abwägen müssen, um schliesslich zu einem Fazit zu gelangen. Das Verfassen solcher Texte ist für viele Lernende anspruchsvoll und es empfiehlt sich, dies regelmässig einzuüben. Ein weiteres relevantes Format sind Leserbriefe. Wird hierfür eine Thematik aus dem Schulumfeld gewählt, lassen sich die Produkte womöglich für die Schulzeitung verwenden.

Benötigtes Arbeitswissen

Wissen über die zur Diskussion stehende Thematik und mögliche Argumente in diesem Zusammenhang.

Politische Sachkompetenz

Bei dieser Kompetenz geht es darum, dass die Schüler*innen Begriffe und Konzepte des Politischen verstehen, über diese verfügen und sie auch weiterentwickeln können. Zu den für die Politische Bildung wichtigen Basiskonzepten zählen beispielsweise Macht, Recht, System, Gemeinwohl, Knappheit und Öffentlichkeit. Ein abschliessender Katalog von Konzepten für die Politische Bildung lässt sich allerdings schwerlich definieren. Eher lassen sich Konzepte als ein zusammenhängendes Netz verstehen, das je nachdem mehr oder weniger umfangreich, komplex und ausdifferenziert sein kann und durch systematisches Konzeptlernen bei den Schüler*innen angereichert werden kann. Politische Sachkompetenz ist dabei keineswegs zu verwechseln mit dem Verfügen über politisches (Fakten-)Wissen, sondern stellt vielmehr eine darüber liegende, abstraktere Ebene dar.

Was bedeutet Macht? Wer hat in einer spezifischen Situation Macht, wer hat keine Macht? Anhand von Fallbeispielen unterschiedlicher Art lassen sich die Vorstellungen der Lernenden in Bezug auf «Macht» erheben und ausdifferenzieren: Wo liegt die Macht in einer Demokratie, wo liegt sie in einer Autokratie? Welche Arten von Macht gibt es in der Lebenswelt, sei es in Familie, Sportverein oder im Schulzimmer? Bedeutet Macht überall dasselbe? Und ist Macht grundsätzlich schlecht? Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen und unterschiedlichen Fallbeispielen kann dazu beitragen, das Machtverständnis von Lernenden zu identifizieren und zugleich zu erweitern.

Benötigtes Arbeitswissen

Wissen über Machtverhältnisse/Machtverteilung in konkreten Fallbeispielen (z. B. ein exemplarisches politisches System einer Demokratie vs. Autokratie)

Was sind Denkmäler und inwiefern sind Denkmäler politisch? Denkmäler bilden nicht einfach Vergangenes dar, sondern sind in hohem Masse politisch. Wer Denkmäler baut, beansprucht Deutungshoheit darüber, was, wer, warum und wie zu erinnern sei. Denkmäler zeigen an, was Gesellschaften, bestimmten Gruppen oder einzelnen Akteur*innen in einer bestimmten Zeit wichtig ist, womit sie sich identifizieren und wovon sie sich unbedingt abzugrenzen versuchen. In Denkmälern werden bestimmte Perspektiven berücksichtigt, andere ausgeblendet, und sie stehen auf diese Weise sinnbildlich für innergesellschaftliche Machtverhältnisse. Nicht selten werden Denkmäler zum Gegenstand von gesellschaftlichen Kontroversen, wie sich derzeit zum Beispiel an Auseinandersetzungen um kolonialistische Denkmäler zeigt.

Auf PB-Tools finden sich eine Reihe von Unterrichtseinheiten, die die politische Dimension von Denkmälern thematisieren und sich für Konzeptlernen in Bezug auf das Konzept «Denkmal» eignen.

Quiz

Komponenten der vier Kompetenzbereiche

1 / 8

Welche Kompetenz wird mit dem nachfolgenden Arbeitsauftrag hauptsächlich angesprochen?

Die Lernenden sollen sich selbständig auf eine Destination für die nächste Schulreise einigen, die möglichst vielen Bedürfnissen gerecht wird.

2 / 8

Welche Kompetenz wird mit dem nachfolgenden Arbeitsauftrag hauptsächlich angesprochen?

Die Schüler*innen sollen während einer Diskussion jeweils auf Argumente der vorherigen Person Bezug nehmen.

3 / 8

Welche Kompetenz wird mit dem nachfolgenden Arbeitsauftrag hauptsächlich angesprochen?

Die Lernenden sollen die Urheber*innen von Internetquellen recherchieren und einordnen.

4 / 8

Welche Kompetenz wird mit dem nachfolgenden Arbeitsauftrag hauptsächlich angesprochen?

Die Lernenden sollen ein Mindmap zeichnen, in dem sie ihre Vorstellungen von «Europa» systematisieren.

5 / 8

Welche Kompetenz wird mit dem nachfolgenden Arbeitsauftrag hauptsächlich angesprochen?

Die Lernenden sollen herausfinden, welche Wertmassstäbe einem Argument zugrunde liegen.

6 / 8

Welche Kompetenz wird mit dem nachfolgenden Arbeitsauftrag hauptsächlich angesprochen?

Die Schüler*innen sollen einen Text nach Typus eines Leser*innenbriefs verfassen.

7 / 8

Welche Kompetenz wird mit dem nachfolgenden Arbeitsauftrag hauptsächlich angesprochen?

Die Lernenden sollen sich in einem Postenlauf mit unterschiedlichen Facetten des Konzepts «Menschenrechte» auseinandersetzen.

8 / 8

Welche Kompetenz wird mit dem nachfolgenden Arbeitsauftrag hauptsächlich angesprochen?

Die Schüler*innen sollen eine individuelle Stellungnahme verfassen, in der sie sich zur Initiative «Gegen Massentierhaltung» positionieren.

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  • Lesen Sie den didaktischen Hinweis «Kompetenzen in der Politischen Bildung»

Kompetenzen in der Politischen Bildung

Mit dem Lehrplan 21 wird der Unterricht der Volksschule neu unter das Dach der Kompetenzorientierung gestellt. Damit wird der Fokus weg vom Wissen hin zum Können verschoben. Was dies für die Politische Bildung bedeutet, klärt dieser Text

  • Spielen Sie an einem weiteren Thema durch, wie die vier Kompetenzen gefördert werden können.
  1. Franz E. Weinert, «Vergleichende Leistungsmessung in Schulen. Eine umstrittene Selbstverständlichkeit», in Leistungsmessungen in Schulen, hg. von Franz E. Weinert, Beltz-Pädagogik (Weinheim: Beltz, 2001), 27–28. [ ↑ ]
  2. Krammer, «Kompetenzen durch Politische Bildung». [ ↑ ]
  3. Krammer, 5. [ ↑ ]
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