Zentrale Prinzipien der Politischen Bildung

Die didaktischen Prinzipien der Politischen Bildung

Problemorientierung​

Probleme zu bearbeiten oder zu lösen ist ein zentrales Element des Politischen. Somit liegt es nahe, Politische Bildung am Prinzip der Problemorientierung auszurichten.[1]

Politische Bildung ist kompetenzorientiert und zielt auf selbstbestimmte und emanzipierte Teilhabe am Politischen ab. Die didaktischen Prinzipien der Adressatenorientierung, des exemplarischen Lernens, der Problemorientierung, der Kontroversität und der Handlungsorientierung bilden dafür das didaktische Rückgrat.[2]

Problemorientierter Unterricht geht von einer Problemstellung oder von einer Leitfrage aus. Diese darf durchaus vielschichtig und komplex sein und sich sowohl auf Alltagsentscheidungen als auch ethische oder fachliche Fragen beziehen. Problemorientierte Fragen sind beispielsweise: Kann man mit gutem Gewissen in die Ferien fliegen? Was darf Satire? Wer soll in der Schweiz wählen und abstimmen dürfen? Fragen wie diese können und dürfen zu Folgefragen führen.

Problemorientierte Fragen lassen sich nicht durch eine kurze Recherche beantworten und eine Ja-/Nein-Antwort reicht nicht aus, um als vollständige Antwort zu gelten. So kann man zwar mit Ja oder Nein auf eine Frage wie «Soll die Schweiz die Bilateralen Verträge mit der EU fortführen?» antworten. Diesem politischen Urteil fehlt es aber an einer Begründung. Deshalb erfordern problemorientierte Fragen eine komplexe, multiperspektivische und kontroverse Auseinandersetzung, die ein fundiertes Urteil ermöglicht.

Ein problemorientierter Unterricht berücksichtigt auf diese Weise das Prinzip der Kontroversität und bahnt politische Urteilskompetenz an. Dafür müssen die Schüler*innen die Probleme als bearbeitbar wahrnehmen und darin nicht einfach einen rhetorischen «Motivationstrick» sehen.

Wie lässt sich Problemorientierung im Unterricht umsetzen?

Soll es ein Menschenrecht auf Internet geben? Soll es ein Menschenrecht auf ein Smartphone geben?

Foto von Rami Al-zayat auf Unsplash
Anhand dieser fiktiven Probleme lassen sich hervorragend übergeordnete Aspekte des Konzepts Menschenrechte und des gesellschaftlichen Zusammenlebens diskutieren. Die Fragen sind insofern fiktiv, als zu diesem Thema derzeit keine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung stattfindet. Sie entstammen aber einer realen Unterrichtssituation mit Sek I-Schüler*innen und berühren eine Thematik, die die Lernenden interessiert. Zudem lassen sich aus diesen Fragen diverse Folgefragen ableiten, die das Konzept der Menschenrechte und das menschliche Zusammenleben betreffen:
  • Was sind überhaupt Menschenrechte? Warum gibt es diese und welche Ansprüche leiten sich daraus wie und für wen ab?
  • Welche Arten von Rechten sind bislang in den Menschenrechten festgeschrieben? Und inwiefern passt das Recht auf Smartphone und/oder Recht auf Internet dazu?
  • Individuelle Ebene: Was fehlt mir, wenn ich kein Smartphone und/oder kein Internet habe? Was fehlt anderen Menschen, wenn sie kein Smartphone und/oder kein Internet haben?
  • Gesellschaftliche Ebene: Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn es keine Smartphones und/oder kein Internet gibt? Macht es einen Unterschied, ob alle Menschen (k)ein Smartphone/Internet haben oder ob nur ein Teil der Menschen (k)ein Smartphone/Internet hat?
  • Und wenn es zu einem Menschenrecht erklärt wurde – was passiert dann? Wer kümmert sich um die Durchsetzung? Wer kann sich inwiefern auf dieses Recht berufen und mit welchen Mitteln?
  • Was spricht in der Summe dafür, das Recht auf Smartphone und/oder Internet zu einem Menschenrecht zu erklären? Was spricht dagegen? Bin ich selbst dafür oder dagegen und weshalb?

Das Schengen-Abkommen: Fluch oder Segen?

Das Schengen-Abkommen steht exemplarisch für eine Reihe von Bilateralen Abkommen, welche die Schweiz in den letzten Jahrzehnten mit der Europäischen Union abgeschlossen hat. Es regelt die grenzüberschreitende Mobilität zwischen Mitgliedsstaaten des Schengenraums bis zu einer Dauer von 90 Tagen – etwa für Geschäfts- oder Urlaubsreisen – und ist von weiteren Abkommen wie dem Personenfreizügigkeitsabkommen zu unterscheiden.

Das Schengen-Abkommen gewährt einen exemplarischen Zugang zu den Bilateralen Abkommen und knüpft zudem an der Lebenswelt der Lernenden an. Gerade Schüler*innen in Grenzregionen wie Basel, Laufenburg oder Kreuzlingen machen in ihrem Alltag Erfahrungen mit grenzüberschreitender Mobilität, etwa, wenn sie zum Shoppen nach Lörrach oder Konstanz fahren. Viele Schüler*innen sind zudem bei Urlaubsreisen innerhalb Europas (unbewusst) mit den Bestimmungen des Schengen-Abkommens in Berührung gekommen (siehe vertiefend den Abschnitt «Adressatenorientierung»).

Der Beitritt zum Schengenraum hat die Schweizer Stimmbevölkerung im Jahr 2005 gutgeheissen. Damals wie heute ist das Schengen-Abkommen und sind die Bilateralen Verträge mit der EU insgesamt aber gesellschaftlich umstritten. Befürworter*innen des Schengen-Abkommens begrüssen zum Beispiel das passfreie Reisen innerhalb Europas und die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Kampf gegen Drogenhandel. Gegner*innen wünschen sich hingegen stärkere Grenzkontrollen und erhöhte Sicherheit oder betrachten die Bilateralen Verträge insgesamt als eine schleichende Annäherung der Schweiz an die EU, die sie ablehnen.

Kaum ein Thema ist in der Schweizer Öffentlichkeit so umstritten wie die Regelung des Verhältnisses zur EU. Anhand problemorientierter Leitfragen zu exemplarischen Aspekten der Bilateralen Verträge kann diese Kontroversität des Themas aufgezeigt werden. Ziel ist es, dass Lernende konkurrierende Positionen kennenlernen und sich am Ende ein eigenständiges Urteil bilden können (vgl. weiterführend den Abschnitt «Kontroversität»).

Kontroversität​

Eng verbunden mit dem Ansatz der Problemorientierung ist die für die Politische Bildung zentrale Aufforderung, Kontroversität zu realisieren.[3] So fordert der Beutelsbacher Konsens, in der Gesellschaft und Wissenschaft kontrovers diskutierte Fragen (z. B. «Soll das Stimmrechtsalter auf Bundesebene auf 16 Jahre gesenkt werden?») im Unterricht zwingend als kontrovers darzustellen.[4] Wichtig hierfür ist, unterschiedliche Akteur*innen und deren jeweilige Perspektiven zu berücksichtigen (z.B. Parteienspektrum, zivilgesellschaftliche Akteur*innen) und daraus resultierende Aushandlungsprozesse sichtbar zu machen.

Lernen in der Politischen Bildung bedeutet folglich stets eine Auseinandersetzung über und nicht für ein Sachgebiet. So geht es etwa nicht darum, Jugendliche für den Umweltschutz zu gewinnen. Der Unterricht soll vielmehr eine kritische Auseinandersetzung über umweltpolitische Fragen, über die Inhalte, die Akteur*innen und die Machtverhältnisse anstossen.

Wie lässt sich Kontroversität im Unterricht umsetzen?

Schnell kann der Eindruck entstehen, es gäbe beim Thema der Grund- und Menschenrechte nichts zu diskutieren. Sie gelten als unverzichtbar, unumstösslich und gesetzt. So fordert der Lehrplan 21 explizit dazu auf, die Bedeutung der Menschenrechte zu vermitteln (RZG 8.2) und sich für die Einhaltung von Grundrechten wie dem Diskriminierungsverbot einzusetzen. Lehrpersonen müssen also entschieden für Grund- und Menschenrechte eintreten. Das ist auch grundsätzlich richtig.

Gibt es rund um dieses Thema also überhaupt etwas zu diskutieren? Bei genauerem Blick ist auch die Thematik der Grund- und Menschenrechte in gewissen Hinsichten kontrovers. So gibt es Fälle, in welchen die in der Verfassung verankerten Rechte in einem Widerspruch zueinanderstehen. Etwa kann die Medien-, Meinungs- und Informationsfreiheit in Widerspruch zu Diskriminierungsverbot oder Persönlichkeitsrechten stehen. In Streitfällen nehmen Gerichte eine Interessenabwägung vor.

Menschenrechte haben also einen universellen Anspruch, gelten in der konkreten Umsetzung aber nicht absolut, sondern in Relation zu anderen elementaren Rechten, die von Gerichten je nach Fall unterschiedlich gewichtet werden. Über die der Art der Gewichtung sind sich Gerichte oft keineswegs einig. Mitunter gelangen derartige Fälle sogar bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Eine empfehlenswerte Möglichkeit für den Unterricht stellt die Auseinandersetzung mit solchen konkreten Rechtsfällen und den Argumentarien von Gerichten dar. Eine sehr empfehlenswerte Informationsplattform in diesem Zusammenhang ist humanrights.ch, die in thematischer Gliederung zahlreiche interessante Fälle dokumentiert:

Die Gestaltung des Verhältnisses zwischen der Schweiz und «Europa» gehört in der Schweizer Politik und Öffentlichkeit zu den seit Jahrzehnten kontrovers verhandelten Themen. Die Abstimmung über den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (1992, abgelehnt) markiert den Beginn einer Phase, in der die Gestaltung der Zusammenarbeit mit europäischen Institutionen immer wieder intensiv verhandelt und in Volksabstimmungen der Bevölkerung zum Entscheid vorgelegt wurde.

Bei der Behandlung des Themas «Europa» geht es also nicht nur darum, Schüler*innen mit dem Aufbau und der Rolle unterschiedlicher europäischer Institutionen vertraut zu machen. Vielmehr sollen sie Einblicke in die Kontroversität des Themas in der Schweizer Öffentlichkeit erhalten. Schüler*innen sollen die unterschiedlichen Positionen in Gesellschaft und Politik kennenlernen und auf diese Weise befähigt werden, sich eine eigene Meinung zu bilden (RZG 8.3).

Das Verhältnis zwischen der Schweiz und unterschiedlichen europäischen Institutionen ist in der Schweizer Gesellschaft höchst umstritten. Diese Umstrittenheit sollte auch im Unterricht sichtbar werden. Dies kann beispielsweise umgesetzt werden, indem exemplarisch Volksabstimmungen der letzten Jahrzehnte und die dabei verwendeten Argumente unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppierungen beleuchtet werden. Auch die Analyse von Wahlplakaten und Programmen unterschiedlicher Parteien kann ertragreich sein, immer mit dem Ziel, den Lernenden schliesslich selbst eine begründete Urteilsbildung zu ermöglichen.

Knapp auf den Punkt gebracht werden unterschiedliche Positionen zum Verhältnis Schweiz-Europa in den Videos und Materialien von Easyvote, die sich zum Einsatz im Schulunterricht eignen. Wertvolles Hintergrundwissen zur schweizerischen Europapolitik findet sich zudem in einem Dossier des EDA.

Grenzen des Sagbaren

Das Gebot der Kontroversität hat auch Grenzen. Haltungen, die menschenverachtend oder menschenrechtsverletzend sind, dürfen in der Klasse nicht gleichwertig neben andere kontroverse Positionen gestellt werden.[5] Hier steht die Lehrperson in der Verantwortung, auf demokratische Grundwerte hinzuweisen und die Menschenrechte zu verteidigen. Vertritt zum Beispiel eine Schülerin eine rassistische Position, so muss die Lehrperson sich hier für die Menschenwürde einsetzen und deutlich machen, dass sie deren Meinung nicht teilt und dass diese Position nicht gleichwertig neben den anderen Positionen stehen darf. Genauso steht die Lehrperson in der Pflicht, sich gegen gewaltverherrlichende Äusserungen auszusprechen und für das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit einzustehen.

Adressatenorientierung​

Die Orientierung an den Lernenden ist ein Teil des Beutelsbacher Konsens. Die Schüler*innen sollen nicht nur die gesellschaftlichen, sondern auch die eigenen Interessen zu analysieren lernen. Darüber hinaus sollen sie in die Lage versetzt werden, die politischen Sachverhalte in ihrem Interesse zu verändern.[6]

Schüler*innenorientierter Unterricht baut auf dem Vorwissen und bestehenden Konzepten der Lernenden auf, systematisiert und erweitert diese. Folglich müssen Lehrpersonen wissen, welche Vorstellungen ihre Schüler*innen beispielsweise von Macht oder einem politischen System haben. Dazu müssen die Lernenden nicht das abstrakte Basiskonzept «Macht» oder «System» erklären, sondern die Lehrperson stellt eine konkrete Frage, die sich an eines der  Basiskonzepte anlehnt. Hilfreich dafür ist das didaktische Modell der Politik-Brille.

Wie lässt sich Adressatenorientierung im Unterricht umsetzen?

Was haben Grund- und Menschenrechte mit mir zu tun? In Unterrichtsbesuchen kann manchmal der Eindruck entstehen, dass Schüler*innen kaum die Bedeutung der Grund- und Menschenrechte für den eigenen Alltag erkennen. Die Einhaltung dieser elementaren Rechte scheint vielen Schüler*innen in der Schweiz derart selbstverständlich, dass sie kaum darüber nachdenken.
Indes gibt es auch in der Schweiz Jugendliche, deren Grundrechte systematisch verletzt werden, zum Beispiel, indem sie Diskriminierung erleben. Eine Annäherung über vier Fallbeispiele von solchen Jugendlichen erlaubt das Lehrmittel «Politik und du» (S. 52–59).

Eine andere Art der Adressatenorientierung wird in der Unterrichtseinheit «Der Schulweg und das Recht auf Bildung» hergestellt. Anhand eines realen Fallbeispiels aus dem Kanton Basel-Landschaft können Lernende erkennen, inwiefern Grundrechte mit ihrem tagtäglichen Leben zu tun haben.

Der Schulweg und das Recht auf Bildung

Was hat die EU mit mir zu tun?

Aus der bisherigen Forschung ist bekannt, dass Lernende in der Schweiz über insgesamt wenig und zudem thematisch eingeschränktes Wissen zur EU verfügen. Sowohl Lernende wie auch Lehrpersonen halten die EU für ein abstraktes und schwer durchschaubares Gebilde. Interesse von Lernenden an «Europa» erstreckt sich vor allem auf die touristische Ebene.[7]

Foto von Christian Lue auf Unsplash

Umso interessanter ist eine Auseinandersetzung damit, was die EU (und andere europäische Institutionen) eigentlich mit der Lebenswelt zu tun haben. Einen niederschwelligen Einstieg in diese Thematik erlauben die Videos von SRF school in der Reihe «Ich, du und die EU».

Exemplarisches Lernen

Exemplarisches Lernen beschreibt das Lernen am und durch ein Beispiel. Dieses Beispiel ist aber nicht beliebig, sondern ermöglicht einen Zugang zu einem übergeordneten Thema oder einer grundlegenden Fragestellung.[8] Exemplarischer Unterricht wählt die Beispiele so aus, dass sie als Ausgangspunkt dienen, um sich mit politischen Fragen im Unterricht zu beschäftigen. Die vertiefte Auseinandersetzung bildet den Hintergrund, vor dem die Schüler*innen politisches Fach- und Konzeptwissen gegenständlich und sachbezogen erarbeiten und erweitern können. So erlauben beispielswiese Fragen wie «Wer darf den öffentlichen Raum nutzen?» oder «Wer entscheidet darüber, welche Regeln im öffentlichen Raum gelten?» auf vielfältige Weise, dem Thema «Öffentlichkeit und öffentlicher Raum» näher zu kommen.

Wie lässt sich exemplarisches Lernen im Unterricht umsetzen?

Für eine intensive Beschäftigung mit der Thematik der Menschenrechte bietet sich die Auseinandersetzung mit konkreten Rechtsfällen in der Schweiz an. Diese eignen sich einerseits, um sich mit der Thematik der konkurrierenden Grundrechte und den damit verbundenen Abwägungsfragen zu beschäftigen (vgl. Abschnitt Kontroversität). Auch können auf diese Weise exemplarisch Rechtswege durch die verschiedenen Instanzen nachvollzogen werden – bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), womit sich zugleich Querbezüge zum Lehrplanthema «Die Schweiz in Europa und der Welt» eröffnen.

Ein mögliches Beispiel ist der Fall zweier muslimischer Schüler*innen in Basel-Stadt, die von ihren Eltern mit Verweis auf die Religionsfreiheit nicht zum Schwimmunterricht geschickt wurden. Das Erziehungsdepartement Basel-Stadt erliess daraufhin Bussen, wogegen die Eltern sich bis vor Gericht wehrten. Als letzte Instanz innerhalb der Schweiz entschied das Bundesgericht, dass es einen «grundsätzlichen Vorrang der schulischen Pflichten vor der Beachtung religiöser Gebote» gebe. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bestätigte dieses Urteil.

Wie kommt es überhaupt dazu, dass sich die Schweiz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verantworten muss? Die Auseinandersetzung mit konkreten Fällen, in welchen die Schweiz vor dem EGMR angeklagt war (vgl. Fallbeispiel des Schwimmunterrichts für muslimische Schüler*innen im vorigen Abschnitt oder weitere Fallbeispiele), erlaubt exemplarisch die Auseinandersetzung mit grundlegenden institutionellen Fragen des Verhältnisses zwischen Schweiz und Europa.

Gebäude des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Strassburg
Gebäude des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Strassburg (Foto: CherryX auf Wikipedia, CC BY-SA 3.0)

So muss sich die Schweiz vor dem EGMR deshalb verantworten, weil sie Mitglied im Europarat ist und die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert hat.

Der EGMR hat also, entgegen verbreiteter Vorstellungen, mit der Europäischen Union (EU) nichts zu tun, sondern ist eine Organisation des Europarats. Menschen in der Schweiz, die in der Schweiz ihre Grundrechte nicht ausreichend geschützt sehen und mit ihrem Anliegen vor dem Schweizer Bundesgericht gescheitert sind, können beim EGMR Klage gegen die Schweiz einreichen, wie dies im geschilderten Fallbeispiel geschehen ist.

Die Auseinandersetzung mit solchen konkreten Fallbeispielen erlaubt Einsichten in grundlegende Fragen:

  • Was ist der Europarat?
  • Welche Funktion hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte?
  • Wie kommt es dazu, dass sich die Schweiz vor diesem Gerichtshof verantworten muss?
  • Was passiert im Falle einer Verurteilung der Schweiz?
  • Wie stehen unterschiedliche Gruppen und Parteien in der Schweiz dazu, dass sich die Schweiz vor dem EGMR verantworten muss? Welche Argumente gebrauchen sie?
  • Wie stehe ich selbst dazu?

Handlungsorientierung

Das Prinzip der Handlungsorientierung stellt die Lernformen und -methoden ins Zentrum.[9] Die Jugendlichen sollen sich bei diversen Gelegenheiten aktiv und handelnd mit den Lernstoffen auseinandersetzen. Handlungsorientierter Unterricht geht Hand in Hand mit dem partizipativen Anspruch der Politischen Bildung. Schüler*innen sollen durch ihre schulische Beteiligung – beispielsweise im Klassen- oder Schüler*innenrat oder im Sinne eines zivilgesellschaftlichen Engagements in der Gemeinde – ihre demokratischen Handlungsfähigkeiten erweitern können.

Wie lässt sich Handlungsorientierung im Unterricht umsetzen?

Welche Regeln brauchen wir für ein gutes Zusammenleben? In Simulationsspielen können Lernende selbst überlegen und aushandeln, welche Regeln es für ein gelungenes Miteinander unbedingt braucht. Gewissermassen werden sie also selbst in die Lage derjenigen versetzt, die eine Menschenrechtserklärung ausarbeiten, womit einerseits konzeptionelle Einsichten in das Wesen von Menschenrechte, aber auch zentrale politische Kompetenzen wie das Argumentieren und Urteilen gefördert werden.

Ein empfehlenswertes Beispiel ist das Planspiel «Esperanza Pakt» von Amnesty International.

Wie soll die Schweiz künftig ihr Verhältnis zur EU gestalten? Sollen Bilaterale Verträge fortgeführt oder aufgekündigt werden? Soll die Schweiz gar Mitglied der EU werden? Soll die Schweiz weiterhin im Europarat Mitglied bleiben und sich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verantworten?

Schüler*innen sollten immer wieder dazu ermuntert und befähigt werden, sich zu solchen und anderen Fragen begründete eigenständige Urteile zu bilden und diese im Diskurs zu vertreten. Eine Möglichkeit sind Podiumsdiskussionen oder andere Diskussionsformate wie Fishbowl oder Zick-Zack-Debatte, die sich im Unterricht der Politischen Bildung gewinnbringend einsetzen lassen. Nicht zu vergessen ist dabei allerdings, dass jede gute Diskussion eine intensive inhaltliche Vorbereitung erfordert. Nur so sind die Lernenden in der Lage, inhaltlich fundierte und begründete Urteile zu formulieren.

Quiz

Die didaktischen Prinzipien der Politischen Bildung

1 / 6

Dem Prinzip der Adressat*innenorientierung wird genüge getan, ...

2 / 6

Adressat*innenorientierung in der Politischen Bildung bedeutet nicht,

3 / 6

In welchem Fall wird das Prinzip der Handlungsorientierung nicht missverstanden?

4 / 6

Welche der nachfolgenden Stundenleitfragen ist nicht problemorientiert?

5 / 6

Handlungsorientierung in der Politischen Bildung bedeutet …

6 / 6

Welche Strategie wird dem Prinzip des Exemplarischen Lernens am besten gerecht?

Your score is

The average score is 80%

0%

Skizzieren Sie eine Unterrichtseinheit zu einem selbstgewählten Thema, die folgende Anforderungen erfüllt:
  1. Formulieren Sie eine problemorientierte Leitfrage, die ein existierendes gesellschaftliches Problem aufgreift und eine vertiefte Auseinandersetzung unter Einbezug mehrerer, kontroverser Perspektiven erfordert.

  2. Überlegen Sie sich einen geeigneten Einstieg, der eine lebensweltbezogene Hinführung zur Leitfrage ermöglicht.

  3. Skizzieren Sie, welche Materialien Sie einsetzen müssten, um unterschiedliche Perspektiven auf das skizzierte Problem und eine kontroverse Auseinandersetzung zu ermöglichen.

  1. Thomas Goll, «Problemorientierung», in Handbuch politische Bildung, hg. von Wolfgang Sander, 4. Aufl. (Schwalbach/Ts.: Wochenschau, 2014), 258. [ ↑ ]
  2. Basierend auf Vera Sperisen und Claudia Schneider, «Ähh, was, Politik? Langweilig…», POLIS, Nr. 11 (2019): 14–18, https://www.fhnw.ch/de/die-fhnw/hochschulen/ph/institute/institut-forschung-und-entwicklung/forschungszentren/zentrum-politische-bildung-und-geschichtsdidaktik/polis-das-magazin-fuer-politische-bildung/media/polis_19.pdf#page=8. Adaptiert für PB-Tools von Manuel S. Hubacher. [ ↑ ]
  3. Sibylle Reinhardt, «Der Beutelsbacher Konsens», in Politik-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, von Sibylle Reinhardt (Berlin: Cornelsen, 2016), 29–31; Tilman Grammes, «Kontroversität», in Handbuch politische Bildung, hg. von Wolfgang Sander, 4. Aufl., Politik und Bildung 69 (Schwalbach/Ts.: Wochenschau, 2014), 266–74. [ ↑ ]
  4. Hans-Georg Wehling, «Konsens à la Beutelsbach? Nachlese zu einem Expertengespräch. Textdokumentation aus dem Jahr 1977», in Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung, hg. von Benedikt Widmaier und Peter Zorn, Schriftenreihe 1793 (1977; repr., Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2016), 24. [ ↑ ]
  5. Kerstin Pohl, «Kontroversität: Wie weit geht das Kontroversitätsgebot für die politische Bildung?», Dossier: Politische Bildung, Bundeszentrale für politische Bildung, 2015, http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/politische-bildung/193225/kontroversitaet. [ ↑ ]
  6. Wehling, 24. [ ↑ ]
  7. Margrit Stamm, «Jugendliche in der Schweiz und ihr Blick nach Europa. Ausgewählte Ergebnisse einer Schweizer Langzeitstudie», in Vom Gelingen und Scheitern Politischer Bildung. Studien und Entwürfe, hg. von Horst Biedermann, Fritz Oser, und Carsten Quesel (Zürich: Rüegger, 2007), 383–93; Volker Reinhardt, Monika Waldis, und Beatrice Ziegler, «Wissen, Interesse und Einstellungen - Schweizerische Ergebnisse aus der Interventionsstudie des TEESAEC-Programms», in Kompetenzen in der politischen Bildung, hg. von Ingo Juchler (Schwalbach/Ts.: Wochenschau, 2010), 182–95; Julia Thyroff u. a., «Politische Bildung auf Sekundarstufe I. Erscheinungsformen und Herausforderungen am Beispiel von Unterrichtssequenzen zu ‹Europa – EU – Schweiz›», Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften 42, Nr. 1 (2020): 127–46, https://doi.org/10.24452/sjer.42.1.8; Corinne Wyss und Claudia Schneider, «Interesse und Motivation als Voraussetzung für Wissensaufbau – Befragung von Schülerinnen und Schülern zum WebQuest und zu EU und Europa", in Was Schweizer Jugendliche von der EU wissen – Die schweizerische TEESAEC-Studie, hg. von Beatrice Ziegler und Volker Reinhardt (Zürich: Rüegger, 2012), 55–74; Beatrice Ziegler und Volker Reinhardt, Hrsg., *Was Schweizer Jugendliche von der EU wissen – Die schweizerische TEESAEC-Studie* (Zürich: Rüegger, 2012). [ ↑ ]
  8. Tilman Grammes, «Exemplarisches Lernen», in Handbuch politische Bildung, hg. von Wolfgang Sander, 4. Aufl. (Schwalbach/Ts.: Wochenschau, 2014), 249. [ ↑ ]
  9. Sibylle Reinhardt, «Handlungsorientierung», in Handbuch politische Bildung, hg. von Wolfgang Sander, 4. Aufl. (Schwalbach/Ts.: Wochenschau, 2014), 275–83. [ ↑ ]
Nach oben scrollen